Ich versteh den ganzen Wind nicht, der um das Thema Network-Marketing gemacht wird. Das Konzept ist simpel, genial und altbewährt. Es gilt nur, sich schlau zu machen und an die Spielregeln zu halten. Und wo es Spielregeln gibt, gibt es auch immer welche die diese Regeln beugen oder gar brechen. Die muss man halt raussieben und ja, auch bestrafen. Wenn man das legal und korrekt durchführt, ist Network-Marketing tatsächlich ein funktionierendes Geschäftsmodell, von dem Alle profitiern. Leider bringen Betrüger aber den Begriff des Network-Marketing in Verruf. Der gesunde Menschenverstand sollte allerdings bei utopischen Versprechungen anspringen und schlimmeres verhindern.
Beispiele wie man das ganze legal machen kann: §84 HGB – Vermittler von Bausparverträgen. Ein Business das seit Jahrzehnte stabil läuft, gesetzlich Wasserdicht ist und sogar vom Staat unterstützt wird (Vermögenswirksame Leistungen). Interessanterweise steht hinter jeder Bausparkasse eine Bank. Für den Vermittler bietet es sich zudem an, seine Angebotspalette zu erweitern – z. B. kann man mit einem Versicherungsmakler eine Vermittlungsprovision vereinbaren. Aber nicht nur mit diesen. Selbstverständlich steht es jedem Vermittler frei, eigenen Verträge mit Personen abzuschließen und diese als Vermittler einzusetzen bzw. eine Vermittlungsprovision im Sinne von „Kunden werben Kunden“ anzubieten.
Was natürlich überhaupt nicht geht ist eben Betrug. Falsche Versprechungen, Lügen oder das Geld für andere Zwecke als die vereinbarten Investitionen zu verwenden (wie im Video angeführt zur Zahlung der Neuangworbenen „Investoren“ der „Investoren/Mitarbeiter/Vermittler/Partner/…“, erfüllt nicht nur den Straftatbestand* „Betrug*“, sondern ist auch „Veruntreuung*“. Im Handelsrecht fallen da auch schnell die Worte „Vertragsbruch“ , „nicht erfüllung“, „arglistige Täuschung“. Die Verlockung ist allerdings natürlich groß: schnelles Geld, überschaubares Risiko (Prozesse kosten Zeit und sind im Ausgang ungewiss, „Mangel an Beweisen). Wer mit solchen Strukturen vertraut ist, weiß auch, dass diese meist mit einem immensen Druck verbunden sind, der direkt unterhalb der obersten Führungsebene beginnt. Luftig-leicht, frei und unbedarft lebt es sich meist nur auf der obersten Ebene. Wer solche illegalen Geschäfte skrupellos durchzieht und andere schamlos prellt, gehört zweifelsfrei bestraft. Ich finde allerdings, das die Frage durchaus Berechtigt ist, WARUM sowas immer wieder funktioniert und trotz aller Warnung und Aufklärung. Dafür gibt es meiner Meinung nach Gründe, die eher in einem ganz anderen Bereich zu Suchen sind. Was flasht denn die Leute so und warum? Grundsätzlich leben wir ständig mit einer gewissen Existenzangst, gespickt mit einer Portion Neid. Wir wollen doch auch nur das, was alle anderen haben – nur vielleicht noch ein kleines bisschen mehr. Jeder hat Träume und Wünsche und Sorgen und Nöte. Das perverse an der Geschichte ist, das mit aalglatter Rhetorik und allen möglichen Mitteln der Manipulation gearbeitet wird. Der „Kunde“ wird da abgeholt, wo er sich grad befindet, dann wird ihm vor Augen geführt, was er nicht hat, es wird versprochen, dass er das auch bekommt und alle seine Freunde und seine Familie auch. Es steht schließlich der lebende Beweis vor einem, dass es jeder schaffen kann. Die Einladung zu einem „Meeting“ gibts dann zum Abschied gratis dazu. Bei diesen Gehirnwäscheveranstaltungen steht meist ein Mensch mit Charisma vor einer Gruppe von MEnschen, denen er klar macht, wie großartig das Geschäft läuft und erzählt dann meist, das er selbst auch aus dem Nichts kommt und dann diese unglaubliche Chance geboten bekam. Seit dem ist dieser Mensch dabei und seht ihn euch nur an! Das will doch jeder! Es folgen tolle Bilder, Kollegen werden aufgerufen und erzählen Ihre Story und Zahlen in schwindelerregender Höhe werden gezeigt. Nach dem Verlassen der Veranstaltung bleiben meist keine Zweifel mehr und „der Neue“ fängt fleißig an zu werben. Später kommt dann die Stornofalle. BÄM-Knechtschaft auf ewig!
Das hab ich als Kommentar zum Video
Reupload: Der verbotene Film Network-Marketing |StrgF
auf Youtube geschrieben und möchte hier noch etwas dazu ergänzen.
Die Stornofalle:
Angenommen Du verkaufst Tennisbälle. Die Packung kostet 100 Euro.
Davon bekommst Du 10 Euro als Provision. Der Kunde hat 14 Tage Recht auf Umtausch ohne Angabe von Gründen.
NIEMAND wird Dir die 10 Euro auszahlen bevor nicht die 2 Wochen um sind, ohne sich abzusichern, dass du die Kosten trägst, falls der Kunde doch storniert.
Verkaufst Du 10 Packungen in einer Woche, hast Du 100 Euro. Die werden auch ausgezahlt, BEVOR die 2 Wochen um sind. Du gehst fein Essen und gönnst Dir und Deiner Frau / Deinem Mann einen schönen Abend. Kohle ist also ausgegeben und Du bist wieder bei 0.
Eine Woche später storniert die Hälfte der Kunden. Dein Vorgesetzter sieht das locker, Du auch. Haste ja noch 50 Euro verdient. Die Woche drauf stornieren noch 3 Kunden. Die Führungskraft wird jetzt beginnen Druck aufzubauen, erst ganz subtil: „Hey, wir haben alle mal nen Bullshit-Run. Kein Thema. Aber besser wäre es, wenn das nicht so oft passiert. Ist ja auch in Deinem Interesse. Andererseits ist ja auch nicht jeder für diesen Job gemacht. Aber selbst unsere Anfangs erfolglosen haben es ja Geschafft, bei Ihrer zweiten, dritten oder auch mal vierten Chance. Die sind halt alle am Ball geblieben und haben sich nicht runterziehen lassen.“
WOW! – Das muss man erstmal sacken lassen. Und es wirkt nach. Viel krasser, als man sich das vorstellt. Was genau passiert hier?
Beschwichtigung, subtile Warnung nett verpackt als konstruktive Kritik, persönlichen Bezug herstellen und mehr Drohpotential aufbauen ohne konkrete Folgen zu nenne (ganz ganz ganz gemeiner Trick, denn wir neigen dazu bei Ungewissheit stets vom schlimmstmöglichen Szenario aus zugehen. Die Grenzen setzt nur die EIGENE Vorstellungskraft. Die eigenen Ängste, welche auch immer das sind, werden damit heraufbeschworen und projeziert und das kann man nur stoppen, wenn man es merkt. Und man merkt es erst, wenn man den Mechanismus dahinter kennt und verstanden hat!). Dann setzt man noch einen oben drauf. Da wir dauernd quasi checken, ob wir uns in Gefahr bringen, wenn wir etwas machen (ist zumindest bei den allermeisten, gesunden Menschen der Fall – der Rest leidet unter Größenwahn oder so), besteht grundsätzlich erst einmal ein Zweifel, ob neue Tätigkeiten uns nun in Gefahr bringen oder nicht. Die Selbsteinschätzung spielt da eine mindestens so große Rolle, wie die Suggestion, dass wir generell Inkompetent sind, wenn wir nicht einen Eignungsnachweis vorlegen können. Witzigerweise werden Fragen nach der Kompetenz des Gegenübers als lächerlich Beiseite geschoben – man solle sich umsehen und fragen, wie es denn wohl kommt, dass man nun im Büro des Gegenübers steht. Alle Vorteile liegen bei dem, der dieses Büro inne hat. Meist ein klotzige Schreibtisch, ein Aktenschrank oder zwei, ein paar gerahmte Zertifikate und Auszeichnungen oder Urkunden, Zeitungsartikel, Trendcharts (grundsätzlich von links unten nach rechts oben verlaufend) der aktuellen, eigenen Struktur, die mit Mühe, Fleiß und Initiative in permanenter Arbeit geschaffen wurde. In Anbetracht von so vielen greif und sichtbaren Zeugnissen über die geballte Kompetenz erscheint einem selbst dann die Frage auch lächerlich.
Ziemlich klein kommt man sich dann vor, bei soviel vorgelebter Macht. Der Selbstzweifel an der Eignung wird massiv verstärkt und dann passiert etwas ganze eigenartiges: Motivation setzt ein! Sei es nun der Neid bzw die Gier, Trotz oder auch schiere Verzweifelung. Wenn die schlechtesten bis zu vier Anläufe gebraucht haben, schaff ich das auch in zwei Anläufen. Wir vergleichen uns also ständig. Nur durch den Vergleich wird es uns möglich unsere Situation zu bewerten. Damit geht auch gleichzeitig die Bewertung unserer Erfolgschancen einher. Solch ein Motivationsschub ist nicht zu unterschätzen!
Mit gestärktem Rücken und dem Wissen, dass wir jetzt eine Mission haben, einen Auftrag, ein festes Ziel vor Augen haben und davon restlos überzeugt, dass wir mindestens so gut sind wie die anderen, aber sehr wahrscheinlich sogar besser (schließlich halten sich die meisten Menschen für eher durchschnittlich oder überdurchschnittlich), gehen wir nach Hause.
Wir verkaufen in der nächsten Woche nur 2 Packungen Tennisbälle. 20 lausige Euro. Na gut, sind wir ja noch im Plus bei 40 von den wir aber 20 ja schon ausgegeben haben. Ab zum Büro, Chef den Bullshit-Run gebeichtet und erklärt, dass nächste Woche auf jeden Fall besser wird, aber dafür muss der Kühlschrank voll sein. Vorschuss? Klar! Aber erst nach Klarstellung das jetzt auch die Zahlen stimmen müssen.
Und das Ende vom Lied? Der Druck steigt soweit, bis man darunter zusammenbricht und den Job nicht mehr machen kann oder will. Inzwischen haben sich die Verhältnisse umgekehrt und die wöchentliche Stornoquote übersteigt die Umsatzzahlen. Es kumulieren sich immer weitere Schulden und ein Ausstieg ist beinahe unmöglich. Mancher versucht noch mal mit aller Kraft das Ruder rumzureissen und beginnt dann „unsauber“ zu arbeiten. Verträge werden fingiert, Adressen stehen im Telefonbuch, Unterschriften die nicht lesbar sind kann man auch ohne Malen nach Zahlen hinbekommen. Da werden manche Leute kreativ. Nutzt aber auch nix, denn das fliegt auf. spätestens wenn der xte Kunde storniert, weil er nie mit einem Mitarbeiter oder dem Unternehmen Kontakt hatte. Regelmäßig steht am Ende dieser Kette:
Ein völlig ruinierter Mensch, der sich wünschen Würde, da nie mitgemacht zu haben – burnout, depressionen, Anzeige wegen Betrug und was man sich sonst noch so alles gleistet hat.
Viele Menschen denen man besser nicht mehr im dunkeln begegnen sollte.
Ein total zufriedener Mensch in einem Büro, dessen Trendcharts immer gleich verlaufen und der gerade in einem Meeting ist oder Mitarbeitergespräche führt, in denen er Vorschüsse auszahlt, motiviert, und zweite, dritte und vierte Chancen vergibt, bevor er die Tür seines gemieteten Büros abschließt, auf dessen Mobiliar schicke Aufkleber mit einem prachtvollen Vogel prangen, die aber dezent von Ablagekörbchen oder „Wichtigen Unterlagen der Geschäftsführung“ verdeckt werden. Er geht dann zu seinem Wagen, der eigentlich nicht seiner ist und fährt zu dem Haus, dass ebenfalls nicht seines ist. Beides gehört der Bank. Zuhause wartet dann ein Stapel Briefe mit gelben Umschlägen. Beim Ausziehen der Krawatte könnte diese „Erfolgreiche Führungskraft“ auf schlechte Ideen kommen. Könnte…